Deutsch

 

.

Biopolymere verarbeiten Mittwoch, 14.05.2014

Es gibt sowohl gute Gründe als auch viele Möglichkeiten, Biopolymere an Stelle von erdölbasierten Kunststoffen einzusetzen. Den Verarbeitern fehlt es aber vielfach an den dafür erforderlichen Informationen.

Um genau dieses Defizit abzubauen, hatten das Wissens- und Innovations-Netzwerk Polymertechnik (WIP) und das IfBB – Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe an der Hochschule Hannover am 8. Mai 2014 in die Räumlichkeiten des WIP zur Veranstaltung „Verarbeitung von Biopolymeren“ nach Hannover/Laatzen eingeladen. Denn im Rahmen zweier durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. geförderter Projekte können Praktiker fachliche Unterstützung bei der Verarbeitung von Biokunststoffen durch das IfBB bekommen.

Mehr als 30 Fachleute aus allen Bereichen der Produktionskette – von der Produktentwicklung bis zur Vermarktung – waren gekommen. Die fachlich inspirierende Moderation durch Berit Bartram, Netzwerkkoordinatorin des WIP, und Prof. Dr.-Ing Hans-Josef Endres (Leiter des IfBBs und des Anwendungszentrum für Holzfaserforschung HOFZET des Fraunhofer WKI, sowie Mitglied des WIP-Vorstandes) führte zusammen mit den drei Vorträgen zu einer intensiven Diskussion der Teilnehmer, die sich anschließend auf dem  „Marktplatz der Anwendungen“ fortsetzte.

Im ersten Vortrag berichtete Melanie Lehmann, Geschäftsführerin der Oskar Lehmann GmbH  & Co. KG (OL) in Blomberg-Donop, über die seit 12 Jahren andauernden Initiativen der Firma, biologische Komponenten in die „klassische“ Kunststoff-Produktpalette einzubringen. Nach ersten erfolglosen Versuchen mit Wood Plastic Composites (WPC) hatte man das Thema zunächst ad acta gelegt, bis dann im Jahr 2009 ein niederländischer Kunde nach „Bio“-Produkten verlangte. Das eingesetzte Material auf der Basis von Kartoffelstärke verursachte aber in der Produktion starke Gerüche (nach Pommes), ein etwas „improvisierter“ Versuch zur biologischen Abbaubarkeit schlug fehl, und letztlich war der Preis des Materials zu hoch für einen wirtschaftlich sinnvollen Einsatz.

Nach einer ausführlichen Recherche u.a. durch einen Studenten der FH Ostwestfalen-Lippe nahm man sich des Themas aber im Jahre 2012 wieder an, wählte Produkte aus dem OL-Standardprogramm aus und führte Musterungsversuche mit verschiedenen Biokunststoffen und Materialkombinationen durch. Dabei konnte allgemein festgestellt werden, dass es Fortschritte bei den Materialien gab und die vorhandenen Werkzeuge problemlos ohne Modifikation eingesetzt werden konnten. Allerdings sollten die Bio-Füllstoffe nicht zu grobkörnig sein, da sonst Heißkanäle und Anschnitte schneller verstopfen. Artikel mit vielen Rippen und Hinterschnitten erweisen sich als eher ungeeignet für die Bio-Varianten, zumindest, wenn es um die Fertigung aus bestehenden Werkzeugen geht, die ursprünglich für einen anderen Werkstoff ausgelegt wurden. Die Zykluszeiten konnten in einigen Fällen (Bio-HDPE) aber sogar günstiger sein. Oft ist eine Vortrocknung des Materials notwendig, wie z.B. bei der Verwendung der Füllstoffe Holzmehl und Papier und bei PLA und PHA + Wachs (Proganic).

Ein Problem sind häufig die mangelnden Erfahrungen, Kenntnisse und damit auch Produkt­deklarationen bei den Granulatlieferanten, den Heißkanalherstellern usw.. Dadurch sind die Verarbeiter gezwungen, selbst viele Versuche zu machen, was bei den Mitarbeitern manchmal zu Verdruss führen kann. Schließlich ist auch der Markt noch nicht ausreichend auf die neuen „Bio-Produkte“ mit ihren meist höheren Preisen vorbereitet. Bei OL hält man die Biokunststoffe aber für einen echten Zukunftstrend und versucht sich mit einem begrenzten Angebot an Standardkompo­nen­ten für den Möbelbau durch ein intensives Marketing als Pionier und Spezialist für dieses Gebiet zu profilieren.

Eine herausfordernde  Aufgabe hatte Stephan Schmidt, der Leiter des Gummi- und Kunststoff-Labors der Miele & Cie. KG übernommen: Produkte wie Wasch- und Spülmaschinen, gerade auch für industrielle und medizinische Zwecke, stellen allerhöchste Ansprüche an die Temperatur-, Wasser- und Laugenbeständigkeit des Materials, und das auch noch bei einer hohen angestrebten Lebensdauer. Langlebige Staubsauger verlangen nach einer hohen Kratzfestigkeit und Lichtechtheit. Das sind zweifellos ganz andere Einsatzbedingungen für Biopolymere als Einweg-Joghurtbecher und kompostierbare Plastiktüten. Entsprechend vorsichtig sei man bei Miele mit den oft noch nicht ausreichend erprobten neuen Werkstoffen, sagte Schmidt, zumal man auch nicht mit „Bio“ werben möchte, wenn davon nur 20 Prozent im Produkt enthalten seien. Es wies darauf hin, dass dem Thema "Nachhaltigkeit" aus Sicht von Miele bereits heute auch durch eine längere Gebrauchsdauer der Geräte, einen niedrigen Verbrauch und den fallweise ermöglichten Einsatz von spezifizierten Recyclaten Rechnung getragen werde.

Zum Abschluss der Vortragsreihe machte dann Prof. Endres zunächst noch einmal auf die Gründe für den vermehrten Einsatz von Biokunststoffen aufmerksam:

  1. Die zunehmende Knappheit (und Verteuerung) des Erdöls als Grundstoff
  2. Der zunehmende Bedarf an Kunststoffen (besonders in Asien)
  3. Die Umweltbelastung durch die immer aufwendigere Förderung und den Transport von Öl, sowie durch Kunststoffabfälle, speziell im Meer

Das Argument des zu hohen Flächenverbrauches für die Produktion der pflanzlichen Grundstoffe relativierte er mit der Feststellung, dass selbst zum vollständigen Ersatz aller ölbasierten Kunststoffe weltweit durch biobasierte ca. 5% des weltweiten Ackerlandes erforderlich seien. Zudem könnten die Biokunststoffe nach Gebrauch auch wiederverwendet und/oder energetisch (Verbrennung, Biogasanlagen etc.) genutzt werden. Kompostierbarkeit sei nicht zwangsläufig die nachhaltigste Entsorgungsoption. Eine wichtige Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit jeder Wiederverwertungsstrategie sei ein hinreichend großes Aufkommen an entsprechendem Material in den Abfallströmen.

In diesem Zusammenhang beklagte Endres auch die Vielfalt der Bezeichnungen der Biokunststoffe, wie beispielsweise Öko-PET oder „petroleum free“. Eigentlich reichten zwei Begriffe, die konsequent verwendet werden sollten:

  • „Biobasiert“ mit der Angabe des prozentualen Anteils der pflanzlichen „Zutaten“ bzw. des biobasierten Kohlenstoffs oder
  • „Biologisch abbaubar“ mit der Konkretisierung einer industriellen oder häuslichen Kompostierbarkeit oder gar eines vollständigen Abbaus in (Salz-)Wasser.

Obwohl schon viele Daten über Biokunststoffe verfügbar und auch u.a. auf der Website des IfBB abrufbar sind (http://ifbb.wp.hs-hannover.de/blog/category/database/), fehlen in den meisten Fällen noch Informationen zur Simulation der Verarbeitbarkeit, zur Weiterverarbeitung (siegeln, kleben, schweißen, bohren, bedrucken, usw.), zur Langzeitbeständigkeit, zu den Wiederverwertungsmöglichkeiten oder belastbare Ökobilanzwerte. In diesem Zusammenhang führt das IfBB zusammen mit dem IAP (Potsdam Golm), dem SKZ (Würzburg) und der TU Chemnitz ein größeres - vom BMEL unter der Projektträgerschaft der FNR gefördertes - Verbundvorhaben durch, bei dem Informationen zu den verschiedensten Verarbeitungsverfahren (Extrusion, Spritzguss, Extrusionsblasen, Faserherstellung, Flach- und Blasfolienerzeugung, Schweißen, etc.) von Biokunststoffen bereitgestellt werden sollen.

Ähnlich ist die Situation bei Naturfaserkompositen. Hinzu kommt, dass die Anbieter bei den Naturfasern oder „ready to use“-Compounds noch sehr klein strukturiert sind. Es werden aber industrielle Lieferanten - wie die großen Kunststoffhersteller - benötigt, die beispielsweise neben Talkum-gefüllten Polypropylenen auch Naturfaser-verstärkte Polypropylen-Materialien in gleicher Art und Weise sowie Intensität anbieten. Zur Qualitätssicherung von Naturprodukten ließen sich die Erfahrungen der zellstoffverarbeitenden Industrie und der Woll- oder Baumwollindustrie nutzen. In den Materialbeschreibungen müssen unter Beachtung der jeweiligen Eigenschaftsprofile der Naturfaser-Compounds auch die Grenzen der Anwendbarkeit der einzelnen Materialien benannt werden, um Enttäuschungen bei den Verarbeitern und Nutzern zu vermeiden. Denn diese wären zweifellos kontraproduktiv, wenn es um eine stärkere Verwendung biobasierte Kunststoffe oder Naturfasercompositen geht.

Letztlich müssten die Hersteller von Biokunststoffen und Bioverbundwerkstoffen der verarbeitenden Industrie absolut die gleiche Qualität und Quantität an Materialdaten sowie den entsprechenden Support bieten, wie diese es von den konventionellen petrochemischen Kunststoffen gewohnt sei, betonte Prof. Endres zum Schluss.

Anschließend nutzten die Zuhörer(innen) auf dem „Marktplatz der Anwendungen“ intensiv die Möglichkeit, untereinander und mit  den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des IfBBs über „Machbares“ ins Gespräch zu kommen. Es wurden neue Ideen entwickelt und Kooperationen begründet. Diese erstmalig sehr interaktiv angelegte Veranstaltung wurde von allen Teilnehmern sehr positiv bewertet.

Autor: Dr. Ernst Kürsten (ek@wood-report.de)

Bilder: 1. Prof. Dr. Endres fesselte die zahlreichen Zuhörer mit seiner lebhaften Vortragweise. 2. „Marktplatz der Anwendungen“, Melanie Lehmann (OL), Rudolf Hein (Konstruktionsbüro Hein GmbH). Neben Vorträgen gab es auch Produkte aus biobasierten Kunststoffen zu sehen und Möglichkeiten des persönlichen Austausches unter den Veranstaltungsbesuchern. 3. Spielzeug und Einwegverpackungen für Lebensmittel sind zwei besonders sinnvolle Einsatzbereiche für Biokunststoffe.

 

 

Erstellt am 14.5.2014 geändert 16.05.2014