"Grüne" Chemie Sonntag, 21.01.2018
Evonik und Siemens erzeugen aus Kohlendioxid und Ökostrom wertvolle Spezialchemikalien
Evonik und Siemens wollen Kohlendioxid (CO2) mithilfe von
Strom aus erneuerbaren Quellen und Bakterien in
Spezialchemikalien umwandeln. Hierzu arbeiten die beiden
Unternehmen im Forschungsprojekt Rheticus an Elektrolyse-
und Fermentationsprozessen zusammen. Das Projekt wurde heute
gestartet und hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Bis zum
Jahr 2021 soll eine erste Versuchsanlage am Evonik-Standort
im nordrhein-westfälischen Marl in Betrieb gehen, die
Chemikalien wie Butanol oder Hexanol erzeugt – beides
Ausgangsstoffe beispielsweise für Spezialkunststoffe oder
Nahrungsergänzungsmittel. Im nächsten Schritt könnte eine
Anlage mit einer Produktionskapazität von bis zu 20.000
Tonnen pro Jahr entstehen. Denkbar ist auch die Herstellung
von anderen Spezialchemikalien oder Treibstoffen. Beteiligt
sind rund 20 Wissenschaftler beider Unternehmen.
„Wir
entwickeln eine Plattform, mit der chemische Produkte
wesentlich günstiger und umweltfreundlicher als heute
produziert werden können“, sagt Dr. Günter Schmid,
technischer Verantwortlicher bei Siemens Corporate
Technology. „Auf Basis unserer Plattform können Betreiber
ihre Anlagen künftig je nach Bedarf skalieren.“ Die neue
Technologie vereint mehrere Vorteile. Mit ihr lassen sich
nicht nur Chemikalien nachhaltig produzieren, sie dient
zudem als Energiespeicher, kann auf Stromschwankungen
reagieren und dazu beitragen, das Stromnetz zu
stabilisieren. Rheticus steht im Zusammenhang mit der
Kopernikus-Initiative für die Energiewende in Deutschland,
die nach neuen Lösungen für den Umbau des Energiesystems
sucht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
(BMBF) fördert Rheticus mit 2,8 Millionen Euro.
„Mit
der Rheticus-Plattform wollen wir zeigen, dass künstliche
Photosynthese machbar ist“, sagt Dr. Thomas Haas,
verantwortlich für das Projekt der Creavis, der
strategischen Innovationseinheit von Evonik. Künstliche
Photosynthese meint, dass mit einer Kombination von
chemischen und biologischen Schritten CO2 und Wasser in
Chemikalien umgewandelt werden – ähnlich wie es Pflanzen
mithilfe von Chlorophyll und Enzymen tun, um Glukose zu
synthetisieren.
In die Forschungskooperation bringen
Siemens und Evonik jeweils ihre Kernkompetenzen ein. Siemens
liefert die Elektrolysetechnik, mit der im ersten Schritt
Kohlendioxid und Wasser mit Strom in Wasserstoff und
Kohlenmonoxid (CO) umgewandelt werden. Evonik steuert das
Fermentationsverfahren bei, also die Verwandlung CO-haltiger
Gase zu Wertstoffen durch Stoffwechselprozesse mithilfe
spezieller Mikroorganismen. Im Rheticus-Projekt werden beide
Schritte – Elektrolyse und Fermentation – aus dem
Labormaßstab in einer technischen Versuchsanlage
zusammengeführt.
„Rheticus bündelt die Kompetenzen von
Evonik und Siemens. Das Forschungsprojekt zeigt, wie wir die
Power-to-X-Idee in die Anwendung bringen“, sagt Dr. Karl
Eugen Huthmacher vom BMBF. Die Erzeugung von Chemikalien
mithilfe von Strom ist eine Idee des Power-to-X-Konzeptes.
Als eine der vier Säulen der Kopernikus-Initiative soll es
helfen, erneuerbare, elektrische Energie sinnvoll
umzuwandeln und zu speichern. Zugleich trägt die
Rheticus-Plattform dazu bei, die Kohlendioxidbelastung der
Atmosphäre zu reduzieren, da das CO2 als Rohstoff verwendet
wird. So würde beispielsweise die Herstellung von einer
Tonne Butanol drei Tonnen Kohlendioxid benötigen.
Evonik und Siemens sehen in der Rheticus-Plattform
großes Potential für die Zukunft. So lässt sich die
gewünschte Größe von Anlagen einfach verwirklichen – die
chemische Industrie kann sie flexibel an lokale
Gegebenheiten anpassen. Sie könnten künftig überall dort
installiert werden, wo CO2 vorhanden ist – etwa aus
Kraftwerksabgasen oder Biogas.
„Der modulare Charakter
und die Flexibilität hinsichtlich Standort, Rohstoffquellen
und den hergestellten Produkten machen die neue Plattform
insbesondere für die Spezialchemie attraktiv“, sagt Haas.
„Wir setzen darauf, dass auch andere Firmen die Plattform
nutzen und mit eigenen Modulen zur Herstellung ihrer
chemischen Produkte verknüpfen.“ ergänzt Schmid.
Bild: Evonik - In einer Fermentation – hier im Labormaßstab – verwandeln spezielle Bakterien CO-haltige Gase durch Stoffwechselprozesse in wertvolle Chemikalien.
AK
21.1.18