Der Präsident des Bundesinstitut für Risikoforschung, Professor Dr. Dr. Andreas Hensel, sprach im Interview mit dem Tagesspiegel über die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung und der wissenschaftlichen Bewertung gesundheitlicher Risiken.
Das BfR hat die Aufgabe, die Bundesregierung wissenschaftlich zu beraten, wenn es um Fragen der Lebensmittel-, der Produktsicherheit, der Sicherheit von Chemikalien oder den gesundheitlichen Verbraucherschutz geht. In seiner wissenschaftlichen Bewertung und Forschung ist das Institut unabhängig.
Der Mensch fürchte schleichend durch Pflanzenschutzmittel vergiftet zu werden. Das sei eine Wahrnehmung, die jeglicher wissenschaftlicher Bewertung widerspricht.
Er plädierte dafür, im öffentlichen Raum nicht allein die Gefahr zu verbreiten, sondern auch die damit verbundenen Risiken zu kommunizieren. Sonst würde unnötig Panik in der Öffentlichkeit geschürt. Giftige Inhaltsstoffe seien in allen Pflanzen von Natur aus vorhanden, weil sie sich damit vor Fressfeinden schützen. Die Dosis der Aufnahme im Menschen sei entscheidend.
Die meisten würden die wesentliche Frage ausblenden, nämlich wie viel man davon tatsächlich zu sich nimmt. Das sei aber wichtig. Ob ein Stoff zum Gesundheitsrisiko für jemanden wird, hänge nicht nur vom Stoff selbst ab, sondern auch von der Exposition, also wie viel davon gegessen werde. Man sollte sich vor Hysterie hüten.
Die Leute würden sich über Pflanzenschutzmittelrückstände aufregen, während sie ein schönes Glas Rotwein trinken. Dass darin gut zwölf Prozent der Chemikalie Ethanol, also Alkohol, stecken, der von der Internationalen Agentur für Krebsforschung als obligat krebserregend eingestuft wurde, würden sie gerne ausblenden. Das sei paradox.
Wenn es um Lebensmittel gehe, sei derzeit der gefährlichste Ort die Küche. Europa erlebe gerade wieder einen Ausbruch von Salmonellen, in Österreich habe es bereits einen Todesfall wegen Salmonellen im Hähnchenfleisch gegeben. Das interessiere nur wenige.
Man könne kein Null-Risiko-Leben führen. Irgendetwas müsse jeder atmen, essen und erleben. Wer um jeden Preis jedes Risiko vermeiden will, mache sich völlig handlungs- und bewegungsunfähig und habe keine Freude am Leben mehr! Das sei dann am Ende das viel größere Risiko …
AK
10.9.23
