Polyproblem

Knapp 100 Expertinnen und Experten beschäftigten sich beim POLYPROBLEM Stakeholder-Dialog 2022 in Köln auf Einladung der Röchling Stiftung und von Wider Sense einen Tag lang gemeinsam mit dem „What if…?“, sprich: mit den wahrscheinlichen Auswirkungen unterschiedlicher Handlungsoptionen im Gegensatz zum „Weiter wie bisher“.

Wenn nahezu alles mit allem zusammenhängt, was den Planeten bedroht, dann könne die Antwort nur ein Systemwandel sein – die schwierigste und komplexteste aller denkbaren Aufgaben. In einer solchen Situation seien Szenarien unverzichtbar. Die Frage „Was passiert, wenn…“ wissenschaftlich fundiert zu beantworten, sei wahrscheinlich der einzige Weg, in komplexen Krisen das persönliche und das gemeinsame Handeln zu priorisieren.

Führungskräfte großer Konsumgüterunternehmen waren ebenso vertreten wie Vertreterinnen und Vertreter der Recyclingbranche, der Chemieindustrie und der Kunststoffproduktion. Sie trafen sich im Kölner Bauwerk mit Aktivisten aus NGOs, sozial-ökologische Start-Ups und mit Repräsentanten der einschlägigen Branchen- und Interessenverbände. Vertreten waren auch wissenschaftliche Forschungseinrichtungen und Universitäten.

Als Impulsgerberinnen und Impulsgeber traten Persönlichkeiten auf die Bühne, die sich in der jüngsten Vergangenheit intensiv mit Szenarien auf dem Weg in eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffprodukte beschäftigt hatten. Sie alle kamen aus völlig Perspektiven zu einem Schluss: Die Plastik-Wende sei machbar. Und sie rechne sich. Der Ausstieg aus dem linearen Wirtschaften mit Kunststoff verlange allerdings jetzt massive Investitionen in eine zirkuläre Zukunft.

Dan Zilnik, Partner bei EY und Gründer von ehemals AFARA, war aus Kanada zugeschaltet. Er hat für die im Frühjahr 2022 erschienene Google-Studie „Closing the Circularity Gap“ auf der Grundlage zigtausender Daten errechnet, unter welchen Voraussetzungen die Wende zu einem maximalen Kunststoff-Kreislauf möglich ist. Seine Zahlen verdeutlichten, dass zirkuläre Geschäftsmodelle mit Kunststoff gewaltige Geschäftschancen bieten, die es jetzt mit Investitionen in Zukunftstechnologien zu erschließen gelte.

Sophie Herrmann, Partnerin beim global aktiven Think- und Do-Tank SYSTEMIQ, hat mit ihrem Team gleich in mehreren Studien die Potenziale der bereits verfügbaren Technologien und Strategien für die Vermeidung von Plastikabfällen untersucht. Sie rechnete vor, dass allein in Deutschland bis zum Jahr 2040 der Einsatz von Neuware um rund 60 Prozent und das Gesamt-Abfallaufkommen um 40 Prozent verringert werden könnte, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden. Sie machte aber auch deutlich, dass die gegenwärtigen Selbstverpflichtungen der Industrie und die bisher getroffenen Regelungen der Politik nicht ausreichen, um dieses Ziel zu erreichen.

Prof. Dr. Thomas Müller-Kirschbaum, heute Beirat bei der Circular Valley Stiftung, stellte eine Berechnung der Mehrkosten an, die ein geschlossener Kunststoffkreislauf für die Produktanbieter und damit letztlich für die Konsumenten mit sich brächte. In einem vollständig geschlossenen Stoffkreislauf ohne den Einsatz fossiler Rohstoffe würde eine handelsübliche Plastikflasche – beispielsweise für ein Reinigungsmittel – den Verbraucher lediglich zwei Cent mehr kosten. Grund dafür sei unter anderem, dass die Einsparungen beim CO2-Preis einen großen Teil der Mehrkosten für die Rezyklatverwendung aufwiegen könnten.

Katharina Schweitzer von SAP blickte in ihrem Vortrag auf die digitalen Rahmenbedingungen, die ein Systemwandel hin zu einem Kunststoff-Kreislauf erfordert. Sie verdeutlichte diese Herausforderung an der immensen Schwierigkeit von Unternehmen, ihre Stoffströme vollständig zu erfassen und auszuwerten – zusätzlich erschwert durch die Tatsache, dass in verschiedenen Ländern und Weltregionen teils völlig unterschiedliche gesetzliche Regelungen gelten. Funktionierende Kreislaufwirtschaft erfordeten Plattformen, die vom Design bis zur Verwertung nach der Gebrauchsphase alle Materialflüsse abbilden und so eine ständige Optimierung unterstützen.

Den Handel mit Rezyklaten zu digitalisieren, hat sich Christian Schiller, Gründer und CEO des Hamburger Startups cirplus, zur Aufgabe gemacht. Im politischen Talk mit Uwe Amrhein warf er einen kritischen Blick auf die teilweise verkrusteten Strukturen, die einem zirkulären Wirtschaften noch immer im Weg stünden. Von der notwendigen Transparenz entlang der gesamten Kunststoff-Wertschöpfungskette sei man noch ein gutes Stück entfernt – nicht zuletzt auch deshalb, weil Markttransparenz den eigenen traditionellen Geschäftsmodellen im Weg stünde.

Der Nachmittag in Köln stand dann im Zeichen des offenen Austauschs. In drei Denkräumen vertieften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Gespräch über Chancen und Hürden auf dem Weg zu einem nachhaltigen Umgang mit Kunststoff.

Folien der Impulsvorträge stehen Im Internet zur Verfügung.

AK
1.10.22